Wie schafft man in Deutschland Akzeptanz für Großprojekte?
Großprojekte in Deutschland sind ein Thema für sich. Fragwürdige Berühmtheit gewannen die beiden Bauvorhaben zu Stuttgart 21 und zu BER, dem Flughafen in Berlin. Was sind dort die Probleme? Und was können Politik und Gesellschaft daraus lernen? Diesen Fragen widmete sich eine Veranstaltung der FDP im Gemeinderat von Stuttgart, die am Abend des 9. Mai in das Stuttgarter Rathaus lud, um durch namhafte Experten beide Projekte zu diskutieren.
Der Vorsitzende der FDP im Gemeinderat, Dr. Matthias Oechsner konnte neben gut 80 Teilnehmern auch die FDP- Abgeordneten aus Bund und Land, Judith Skudelny und Gabriele Reich-Gutjahr begrüßen.
Der Vorsitzende des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm, Georg Brunnhuber, stellte den Verlauf der Planungen und Bauarbeiten zur Trasse Stuttgart-Ulm und zum dazu gehörenden Bahnhofsprojekt in der Landeshauptstadt vor. „Viele fragen sich: Warum ist das so teuer und wird immer teurer?“, schilderte Brunnhuber einen der wichtigsten Einwände zur neuen Bahnlinie. Die Antwort liege seinen Aussagen zufolge auch darin begründet, dass seit den ersten Ideen zum Projekt Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine beträchtliche Zeit verstrichen sei. Zwar hätten alle parlamentarischen Ebenen das Projekt durchweg mitgetragen, aber von der Grobplanung zur Feinplanung mit Ausführung hätte sich einiges verändert. So sei ein „hoher Sicherungsbedarf“ nicht zuletzt aufgrund der Demonstrationen dagegen entstanden, verbunden mit immer strengeren Umweltschutzanforderungen vor allem beim Artenschutz. Außerdem sei das Preisgefüge, beispielsweise bei den Baukosten in den vergangenen Jahren erheblich teurer geworden. Der große technische Anspruch mache höchstes Expertenwissen aus ganz Europa nötig.
Andererseits könne sich das Projekt sehen lassen: Die Trasse Stuttgart-Ulm sei früher fertig als das Bahnhofsprojekt Stuttgart. Beide zusammen bildeten dann aber ein technologisches Spitzenprojekt, seinen Aussagen zufolge das modernste in Europa, bei der Fern-und Nahverkehr das digitale Zugbeeinflussungssystem (ETCS) zur Verfügung hätten. Für die Stadt Stuttgart selbst seien nicht zuletzt die 120 Hektar freiwerdender Gleisfläche im Innenstadtbereich eine historische Chance. Der FDP Kreisvorsitzende Armin Serwani, Verkehrspolitiker im Regionalrat der Region Stuttgart, bestätigte, dass gerade der Nahverkehr von den modernen Trassen beträchtlich profitiere.
„BER ist leider nicht vergleichbar mit Stuttgart 21“, so begann der Fraktionsvorsitzende der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, seine Ausführungen. Der Hauptunterschied sei: Ein Ende der Baumaßnahmen sei dort nicht in Sicht. Hauptgrund dafür sei, dass die Kapazität des Hauptstadtflughafens stets erweitert würde, ohne den Mehrbedarf an technischer Infrastruktur zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu Stuttgart 21 fehle eine Projektgesellschaft und wechselnde Baufirmen nähmen die Dokumentationen über die bisherigen Maßnahmen einfach mit. Die permanenten Änderungen bei Planung und Durchführung seien nicht zuletzt die Gründe, weshalb der Eröffnungstermin mehrfach verschoben worden sei. Den Bedarf an Flugverkehr sei nicht zuletzt in der Bürgerbewegung für den Erhalt des weiteren Flughafens Tegel zum Ausdruck gekommen, so Czaja und erinnerte daran, dass der Baubetrieb zu BER den Steuerzahler täglich Millionen koste. Dies alles hätte den mittlerweile dritten Untersuchungsausschuss dazu im Berliner Abgeordnetenhaus zur Folge. Das alles im Bewusstsein, dass das Projekt auch bei Fertigstellung die erforderliche Kapazität nicht bringen werde.
Zwei Großprojekte – zwei unterschiedlich gelagerte Probleme. „Die Frage, die beide verbindet und für die Zukunft wichtig ist, ist aber: Wie schafft man in Deutschland die Akzeptanz in der Gesellschaft für Großprojekte?“, so Czaja. An der folgenden Diskussion beteiligten sich, geleitet vom Fernsehmoderator Chris Fleischhauer, viele der Anwesenden. Deutlich wurde dabei, dass eine klare Vorgabe, bestmögliche Bürgerbeteiligung, klare Spielregeln bei der Erstellung und maximale Kostentransparenz die Bausteine sind, wie Großprojekte in Deutschland eine Zukunft haben. Als Beispiel, wie so etwas gehen kann, wurden die Olympischen Spiele 2012 in London genannt. Diese Erkenntnisse werden für die Zukunft wichtig sein, denn ohne moderne Infrastruktur wird Deutschland nicht auskommen – und Großprojekte gehören dazu.
Auf dem Titelbild v.l.n.r. Sibel Yüksel, Stadträtin, Michael Conz, Stadtrat, Dr. Matthias Oechsner, Sprecher der FDP-Gruppe im Gemeinderat, Armin Serwani, Kreisvorsitzender der Stuttgarter FDP und Regionalrat, Sebastian Czaja MdA, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Georg Brunnhuber, Vorsitzender des Vereins Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V., Chris Fleischhauer, Moderator.